
…der Krimi findet ein Ende…
22.Dezember
Zigarettenrauch in der Nase, ganz sanft gräbt er sich ins Gehirn spaziert an den Synapsen entlang und hält hier und da ein kleines Pläuschchen mit der Erinnerung…
Warum nur, warum bin ich überhaupt hier her gekommen denkt sich Hilde, aber jetzt bin ich nun mal hier und werde diese verdammte Puppe auch nähen.
Gesagt getan.
Hilde betritt wieder den Raum
fang
Rüdiger schmeißt ihr ein weißgeschnürtes Bündel zu
brauchst nur noch die Haut überziehen und Augen und Mund sticken
fang
von Gertrud wird ihr der fertig gestopfte Körper zugeschmissen.
Wie ferngesteuert setzt sich Hilde ihre Hände binden, nähen, sticken, sie wissen ganz genau was zu tun ist und in weniger als einer Stunde sitzt sie ihr gegenüber, die Puppe. ein wenig schief, noch ganz kahl, aber ungemein rührend, sie zwinkert ihr zu schmiegt sich in Hildes Hand und beginnt zu sprechen:
setz Dich schön ordentlich in Deinen Sessel, besser noch Du legst Dich gleich auf den Boden, jetzt wird’s brutal
—————————- 23.Dezember
Ich hol schon mal meinen Koffer sagt Renate und erhebt sich, Wollflocken und Fädchen an ihren Kleidern, ich hab da was zur Beruhigung dabei
Also jetzt reicht mir, Hilde springt auf, ihr habt doch alle einen an der Waffel, völlig durchgedreht, wußte ich schon immer, wer Puppen näht der ist doch nicht mehr ganz dicht.
dicht, sticht, erpicht in der Pflicht, es werde licht ,ja besser mehr licht sonst sticht sie sich in den Finger inger inger er er … Gwendolyn läßt ihre halbfertige Puppe zur Melodie tanzen…
Rüdiger erhebt das Wort, jetzt halt doch mal die Klappe Gwendolyn, siehst Du nicht dass Hilde wirklich am Ende ist. Rüdigers Umrisse verschwimmen, er wird dicker und dicker, seine Puppe wird zur Geige und dann hacken die bittersüßen Plastikklänge des Nebelgeigers in Hildes Herz. Rüdiger ist zum Nebelgeiger geworden, und geigt wie irre immer die gleiche Melodie. Hilde kennt die Melodie, aber die Worte zu den Tönen fallen ihr nicht ein… der Zigarettenrauch wird intensiver, die Tür öffnet sich:
Springerstiefel, zerfetzte Strumpfhosen, blau gefrorene Knie, ihre alte Motoradlederjacke übersäht mit Nieten, Irokesenschnitt, blaue Augen, die blauen Augen, die einzigen und immer Augen
Mama?
Da.. Zoe Du hier?
Brotgeruch, Krümel in der Nase, Butter am Auge…
vor ihr liegt das Brot, im Brot die Puppennadel, das ganze Gesicht voller Krümel… Mist, ich bin eingeschlafen, ich habe geträumt, Hildes Blick fällt auf die Puppenkurseinladung, sie sieht etwas speckig aus, ist wohl der Butter zu nahe gekommen… ja Butter und Papier verträgt sich nicht, genauso wie Günter und ich damals in der Pathologie, wäre da nicht Ovid gewesen mit seinen verhexten Versen, wären sie an dem einen Abend doch nur früher gegangen… der Nachtwächter hatte sie übersehen, abgesperrt, Günter konnte alles auswendig, die ganzen Metamorphosen, aber irgendwann wurde er heiser und leiser…
Sie hatte Günter nie was gesagt, aber als sie die blauen Augen in dem kleinen Gesicht sah, diese immer Augen, da hat sie sie Daphne genannt. Da war sie in ihrem Leben, sehr klein zu Anfang, doch dann fing sie an zu wachsen und wollte gar nicht mehr aufhören, bei 1,92 hatte sie dann doch genug vom wachsen und von ihr, Hilde… und von dem Schweigen über Günter, dem altgriechischen Vater, der doch noch sehr jung war damals und gar nicht griechisch… und von der vielen Butter auf den Pausenbroten- und ist gegangen … gegangen um weg zu bleiben
ich möchte soweit weg wie möglich von Dir und Deinen Metamorphosen, ab heute heiße ich Zoe, ganz am Ende vom Alphabet, was für ein bekloppter Name warum musstest Du mich unbedingt nach dieser hölzernen Nymphe Daphne benennen. Merk Dir das ,ich heiße Zoe und führe ab heute mein eigenes Leben
das hat sie noch gesagt und das war vor zwei Jahren…
die Plastikgeige dringt durch die Doppelfenster, penetrant romantisch
Hilde wischt sich das Brot aus dem Gesicht, zerknüllt die gebutterte Kurseinladung, hält kurz inne, irgendwie verträgt sich Butter und Papier doch, immerhin hat irgendwer, irgendwann mal Butterbrotpapier erfunden… Hilde streicht die Einladung wieder glatt, gut das ich nicht hingegangen bin zu diesem Quatsch, das kommt an meinen Kühlschrank und soll mir immer Mahnung sein nichts unüberlegtes zu tun.
——————————————- 24.Dezember
Hilde geht ins Bad, schaut in den Spiegel etwas verschwommen das Bild… Butter, überall Butter, sogar im Auge.. sie hebt den Klodeckel, da klingelt es an der Wohnungstüre und gleichzeitig hört sie wie ein Schlüssel sich im Schloss dreht… es gibt nur einen Menschen außer ihr Hilde, der noch einen Schlüssel für ihre Wohnung hat… ganz langsam setzt sie sich aufs Klo und schluckt….
Mama! Mama? Ganz klein ist die Große Daphne – Zoe, weil sie am andern Ende des Flures steht, an der Eingangstüre mit jedem Schritt wird sie größer, bis sie wieder 1,92 ist und direkt vor ihr steht, ein Hauch von Zigarette umgibt sie …
Mama, Du sitzt mit Hose und allem auf dem Klo!?
Ja, ich… ich hab Butter im Auge…
Zoe lacht, ja das seh ich, nicht nur im Auge…sie breitet ihre Arme aus und Hilde die Ihren, erhebt sich vom Klo und wünscht sich ganz fest das sie nicht schon wieder träumt und verspricht allen griechischen Göttern auf einmal, dass sie ihr Leben lang, jedes Jahr zum Puppenkurs gehen will, wenn das nur bitte jetzt kein Traum ist.
Später sitzen sie am Küchentisch, Zoe raucht und Hilde schmiert Butterbrote, immer noch eins und Hilde isst sie alle alle auf. Immer abwechselnd Butterbrot, Zigarette, Butterbrot, Zigarette…
Oh, fast vergessen, Mama, ich hab noch ein Weihnachtsgeschenk für Dich, aus ihrem Rucksack zieht sie ein Puppe, etwas schief, mit Irokesenschnitt,Sicherheitsnadel durch die Nase und Lederjacke, hab ich für Dich gemacht, damit Du jemanden bei Dir hast, falls ich wieder weggehe…
Hilde schmiert weiter Butterbrote, schließlich gibt es jetzt ein weiteres hungriges Maul zu stopfen
Mama, sie heißt Meta Morphosa und jetzt muss ich schlafen ich bin scheißmüde.