
Heute gibt es eine Geschichte mit viel Sommerhitze und Staub in den Wörtern. Ich habe sie gesammelt im Sommer, für lange, kalte Wintertage. Es sind viele Wörter, ihr werdet ein wenig Zeit brauchen, sie zu lesen. Einen wunderschönen 4. Advent Sontag Euch .
Wotanland
von Wotanland will ich Dir erzählen, lange schon.
von einem Hitzenachmittag in der staubigen Uckermark.
Feinste Stroh und Sandpartikel wehen über die freien Monokulturflächen ,ziemlich weit oben in Deutschland, einzige Windfänger sind die Windräder , die das Stoppelfeldeinerlei etwas unterbrechen aber selbst in so großer Menge auftreten, dass auch sie zu einer Monotonie werden und eigentlich nur zwei Monotonien zu einer neuen noch langweiligeren Monotonie zusammenschmelzen.
38° in der Uckermark
Wotanland, Wotanland, bald bist Du abgebrannt
Dein Vater ist im Krieg
Die Mutter posted Dich auf Instagram
in Deinem großen Einhorn
ist Dir das nicht peinlich, Kind von Wotan?
es ist 38° in der Uckermark
kein Regen in Sicht
Etwas das sticht
piep piep piep
38° in der Uckermark
Wotan hat Dich lieb
…
Zu Besuch in der uckermärkischen Wochenendkommune, in der noch tief im Gemäuer des alten Gutshofes – überhaupt ist die Uckermark in meinem Kopf angefüllt mit Gutshöfen und Plattenbauten und einigen verwahrlosten Einfamilienhäusern mit viel Gerümpel drum herum, einem Plastikswimmingpool, und einer Deutschlandfahne- eine gewisse Kühle existiert, in die zurück zu ziehen es sich lohnt.
Aber auch in dieser Kühle ist es trocken, viel zu trocken für so einen glühenden Nachmittag
bei 38° in der Uckermark
Wir fahren an den Rumpelpumpelsee, weil er naß ist.
Das Strandbad in Klockow ist keine Option, denn noch immer ist Corona und für öffentliche Badeanstalten musst Du Dir Deinen
” Slot ” buchen im Internet, und natürlich sind alle ” Slots” schon ausgebucht.
Wir rauschen über Feldwege, viel zu schnell und zu staubig, doch es macht Spaß bei der Hitze ein wenig zu schnell zu sein mit dem Auto, denn man selbst bringt es ja zu keiner Geschwindigkeit mehr, bei diesen Temperaturen.
Weite Hügel, Stoppelfelder, Windmühlen, nur die Feldwege sind noch gesäumt von natürlichen Hecken, die ein bisschen Schutz bieten vor der brutalen Fusionsmonotonie von Stoppelfeldern und Windparks.
Rechts, links, wieder rechts, es wird, was kaum möglich schien, noch staubiger. Staubig, staubiger am staubigsten und hier ist es noch staubiger … ab von der Straße hinein ins staubige Stoppelfeld, den Berg hoch … ganz oben parkt ein Kleinwagen und unter dem Kleinwagen erstreckt sich ein dunkelbrauner See umsäumt von riesigen, grünen Eichen.
Wie konnten die hier überleben?… natürlich, sie stehen unter Wotans Schutz, in der Obhut des Obergottes, dem Gott der Wut, der Ekstase und der Inspiration, in seiner Obhut läßt es sich gut leben, vor allem als Eiche . Doch von Wotan weiß ich noch lange nichts. Von Wotan werde ich erst etwa 40 Minuten später erfahren.
Wie leer es ist, sonst sei hier immer ganz schön was los wird uns versichert, vielleicht einfach zu heiß hier heute.
An der Badebucht liegen ein paar abgestürzte Mirabellen, eine Bank im Schatten, einige Zellstofftücher, zerknüllt, natürlich Staub und sonst nichts.
Doch ganz fern, in einer anderen Bucht, ein Paar.
Vielleicht die Besitzer des Kleinwagens oben auf dem Hügel.
Wir lassen uns nieder auf Mirabellen, Zellstoff und Staub, wir sind viele, bestimmt 10 oder 15, ich bin etwas pingelig und platziere mich auf der schmalen Bank im Schatten.
Die Kinder stürzen sich sofort in den See.
Wir Erwachsenen zwingen noch unsere Körper in die Badekleidung und stellen dabei fest, dass früher die Badekleidung nachgab, unter der Berührung des Bikinis jetzt, ist es der Körper, der willig sich eindellt und wegstülpt während der Bikini kein einziges Faserchen mehr dehnen muss… Zeit ist vergangen… auch sind die Kinder nicht so viel schneller im Wasser als wir, weil sie noch keine Badekleidung tragen, sondern weil sie ihre Badekleidung schon zuhause angezogen haben und sich ihrer auch erst wieder im fremdblicksicheren Umfeld einer dunklen Toilette entledigen werden… Zeit ist vergangen
Zeit vergeht immer
doch manchmal unbemerkt
wie dumm, natürlich vergeht Zeit immer, das weiß ja jedes Kind, ich habe es nur aufgeschrieben damit ich es nicht immer wieder vergesse.
Kleiner Merksatz, Mantra am Rande
Zeit vergeht immer
Zeit vergeht immer
auch bei 38° in der Uckermark
wenn alles still steht
Zeit vergeht immer
Auch wir Erwachsene gehen ins Naß, manch einer schnell und ein wenig elegant noch, andere langsam, bedacht… denn das Wasser ist unerwartet kühl, was aus der Ferne lau und braun anmutete sieht aus der Nähe eher grün und richtig kalt aus.
38° Außentemperatur, aber nach 20 Minuten im Wasser entsteige ich dem See, jünger als zu vor, ganz sicher, auch wenn Zeit vergangen ist – und frierend
Was ein Wunder
Wir Erwachsene plazieren uns im Schatten, plaudern über unser substanzloses Dasein und das kleine Glück eines kalten Sees mitten im Staub und das dies kleine Glück doch eigentlich ein sehr großes ist, dazumal wir hier ganz alleine sind, wo man sonst hier nie alleine ist…
Es wird ruhig unter meinen Liedern, Insekten summen und stechen nicht, vielleicht sind auch sie von der Hitze etwas antriebslos…
Das Wummern von Elektrobeats, ich erinnere mich an die riesigen Gettoblaster und die großen Batterien der 80iger Jahre, mit denen man sie füttern musste, ich besaß nie so ein schweres Gerät und bin insgeheim froh, dass ich die Geduld hatte zu warten, Jahrzehnte lang, bis die Technik sich diese kleinen aber potenten Boxen ausgedacht hat… wumm wumm wumm
summ summ summ
in der Uckermark
wuck wuck wuck
die Windmühlen, wenn alles andere an Ton wegfällt, dann kannst Du die Windmühlen hören in der Uckermark
wuck wuck
” Kommt her, lasst Euch nieder, hier ist doch Platz für alle” höre ich die Stimme meines Mannes
Durch minimal geöffnete Lieder, ich will die Außenwelt nicht wissen lassen das ich da bin, Neugierde aber treibt mich – sehe ich Jugendliche, Jungen, Mädchen, mehr Jungen auch ganz junge Jungen. Die Jungen mit akkuratem Haarschnitt, Deckhaar länger, Seiten rasiert, nachher, wenn sie aus dem Wasser auftauchen sehen sie alle aus wie kleine Hitler.
In Berlin ist die Mode, Gott sei Dank schon etwas weiter, den Hitlerjungen Schnitt hat man in die Tonne getreten zu Gunsten einer rundum 2mm Frisur.
Direkt neben uns, mit einer Handbreit Abstand wird eine flauschige, lilafarbene Synthetikdecke ausgebreitet… ein bisschen zu flauschig für die Temperaturen denke ich noch, und so nah?… aber wo soll sie denn sonst hin die Decke, ist ja Corona und die Badeslots der öffentlichen Badeanstalten sind ja aus Abstandsgründen ausgebucht und bei der Hitze braucht ja jeder ein Stückchen Wasser sonst ist er schlichtweg vertrocknet bevor noch irgendein Coronavirus die kleinste Chance hatte, so denke ich vor mich hin als etwas nasses, fleischig sehniges mein Bein berührt, seltsamer weise ist dieses fleischige irgendwie auch fellig
” WOTAN!” dröhnt es an mein Ohr
Ich schrecke heraus aus meinem Gedankenkarusell um Badestellen, Corona und behördlichen Anordnungen und sehe ihn:
Kraft.
Sein ganzer Körper, tiefliegende, triefige Augen, pralle Hoden, Muskeln, kleine Ohren und ein freundliches Gesicht.
Groß ist er und trägt ein Nietenhalsband.
Riesenboxerkampfhundmischung in den besten Jahren.
Gott Wotan in Gestalt eines Haushundes einer Großfamilie aus der Fusionierten Monotonie des uckermärkischen Wüstenlandes.
Von jetzt an bestimmt Wotan die Szene.
Die Jugend schreit, wummert,badet,ißt Chips, trinkt Sternburger und ist auch schon wieder weg.
Zeit ist vergangen
Eine halbe Stunde nur
und schon sind sie wieder weg mit ihrem Wummern und ihrem substanzgefüllten Leben, ihren Fragen nach der nächsten großen Sause dem nächsten großen Rausch.
Weg
Nur Wotan wühlt im Staub, dann planscht er im Wasser mit seinen Hausleuten schüttelt sich weiträumig – plötzlich muss ich an die vermeidliche Reichweite von gefährlich wütenden Aerosolen denken – dann lässt er sich nieder aufs flauschige Lila.
Kurz ist es ruhig und still, Insekten summen. Ich denke wie schön es doch ist das die Insekten immer summen, egal ob jemand sie hört oder nicht. Sie summen einfach, wahrscheinlich können sie gar nicht anders. So lange sie leben summen sie, doch wirklich lange lebt jedes einzelne von ihnen ja nicht und in ihrer Gesamtheit als Gattung ist ihr Dasein ja auch nicht mehr sicher… weiter wandern meine Gedanken wieder zu Monotonie und Hitze und das die Hitze eigentlich auch sehr wohltuend ist, so ausbrennend, lähmend.
Wie wunderbar vergeblich es doch ist sich gegen die Hitze zu wehren.
Wumm Wotan rennt durch die Decken, haarscharf an meinem Knie vorbei ins Gebüsch, Zweige knacken trocken und ergeben, ja ehrfürchtig unter der Wucht von Wotans weißem Götterkörper.
Wotans Fell ist weiß, wo es nicht ein bisschen vergilbt ist oder staubig vom Uckermarkalltag
” WOTAN!”
dröhnt wieder die Männerstimme unter einer verspiegelten ,um die Ecke gebogenen Sonnenbrille hervor.
Wotan legt sich auf die Lila Decke und schmiegt sich an eine große blonde Masse weichen Fleisches unter buntem Stoff.
Ich gebe wieder vor nicht da zu sein und ordne unter halbgeschlossenen Liedern das Bild.
Was bleibt?
Wir, halb im Wasser, halb an Land ganz nah an der Lila Decke auf ihr das wonnige Fleisch vom weiblichen Herrchen von Wotan, hinter einem Busch im Schatten der glatte Schädel mit Sonnenbrille, Bauch, viel Schweiß und einer Platzhirschaura, die unsre männlichen Badeausflugsteilnehmer gewiss spüren und in Gedanken wohl den rechten Umgang mit dieser Aura instinktsicher ausloten.
Nun ,ich bin kein Mann und froh drum.
Was bleibt ist eine Familie rund um Wotan.
Vater, der uns bereits bekannte Mann mit Sonnenbrille und Wotanruf, eine Mutter, dick und anschmiegsam wie ihre flauschige ,lila Decke, irgendwie unpassend für diese Temperatur aber so gemütlich, dass abwechselnd einer ihrer vier Söhne sich an sie schmiegt und ein wenig verweilt, ein wenig Mutter tankt, bevor er sich wieder in die Fluten stürzt um dann ruhig auf einem riesigen regenbogen Einhorn aus Plastik und Luft über den See zu schippern. Ein anderer Sohn in einem pinken Flamingo von gleichem Ausmaß. Auch die Frisuren der vier Jungs gleich. Gleich kurz rund rum , ein Milimeter, der Hauptstadt Berlin einen entscheidenden Milimeter voraus.
Blond
Blöd , bin ich verleitet zu schreiben. Ja ich denke blond und blöd und grinse in mich rein und noch ein wenig tiefer in mir drin bin ich ganz froh das wir alle deutsch sprechen, denn was ist wenn das nicht die einzige Wotanfamilie ist und in den Büschen noch ganz viele andere Wotanfamilien lauern?… ich schließe meine Lieder noch ein Milimeterchen und hoffe somit noch ein wenig mehr Unsichtbar zu werden. Gleichzeitig genieße ich aber das gesamte Bild in seiner Absurdität sehr.
Wir aus der Stadt, ein seltsames Bild für die Wotanbewohner und für uns dies herrliche Schauspiel voll Gegensätzen. Wotan meets Rainbow Unichorn and Pink Flaming , untermauert mit wilden Elektrobeats, verstrahlt durch substanzlose Staubhitze .
Tubberdosen türmen sich um die Wotans, während wir versuchen eine Mini Biomelone durch 15 zu teilen. Die Wotans haben auch alle Kippen, also die drei großen, wobei der älteste Sohn ein bisschen klein aussieht, auch schon einen schwindenden Haaransatz hat, seine Zähne kann ich nicht sehen, geben meine Augen nicht mehr her, doch gemeiner Weise stelle ich sie mir gelb und lückenhaft vor.
Er wirkt ein bisschen debil und traurig.
Schmiegt sich an die Knie der Mutter, die die ganze Zeit auf ihr Handy schaut, um so vielleicht der mürrischen Aura des Familienoberhaupts zu entgehen.
Alle drei machen Witze über “häusliche Gewalt”.
Und wieder, Wotan jagt durch die Bucht.
” WOTAN!“
Das wird bleiben, den ganzen Nachmittag die Ausbrüche von Wotans Kraft, über den Staub und ins Gebüsch gejagt.
Die Wotans haben viel Sternburg dabei, wir nur eine Flasche und die ist schon lange leer.
Die Wotans schwitzen wie wir, freuen sich über den kühlen See wie wir, sie sind von hier, nicht wir, wie wir wohl auf sie wirken, wie sie sich uns wohl erklären?
“Mama, hinter Dir steht ein nackter Mann und schau mal die Frau hat so einen kurzen Rock. dass man ihre Unterhose sehen kann!“
raunt neben mir das Kind einer Freundin in ihr Ohr, ich kann es trotzdem hören und möchte mich umdrehen, tue es aber nicht.
Ich bin fremd hier, besser nicht so sehr da sein.
Es ist heiß und es wird eng, ich gehe ins Wasser, es ist noch immer wunderlich kalt, wirklich richtig kalt, was bei den Temperaturen unmöglich erscheint.
Etwas ist anders in unserer Bucht, da die Bucht eng ist und ich zu höflich bin mich umzudrehen gehe ich eben ins Wasser, von hier aus lässt es sich besser beobachten.
Ein neues Päärchen hat die Bucht betreten, mittleren Alters,
ach ja, ich vergaß zu erwähnen das viele Tatoos sich mit den Wotans und dem Einhorn und dem Flamingo im Wasser tummelten.
Der Mann des neuen Zweigespanns, eher klein, gedrungen von kraftvoller Gestalt , auch tatoowiert und nackt ,läuft durch die Enge der Bucht als gehörte sie ihm allein, ihm und seinem mächtigen Gemächt!
Ja es ist wirklich ausgesprochen mächtig und weil es so mächtig ist und er der einzige ist der nackt ist, wir andern haben uns alle in unsere Badekleidung gezwängt, ist nicht nur sein Gemächt mächtig, sondern auch er selbst.
Alle versuchen weg zu sehen, so sehr, dass es sich fast körperlich manifestiert das nicht- sehen ,und sich zu einem riesigen Auge manifestiert das sich ergeben schliesst vor dieser Macht.
Alle Buchtbewohner, ob Wotanianer oder Minibiomelonianer werden zu diesem einen Auge das niederschaut, und sogar niederkniet als der nackte Mensch mit seinem kleinen stämmigen Körper an der Seeeintrittsstelle einen riesigen Stein mit beiden Händen über seinen Kopf hebt, um ihn dann vor sich fallen zu lassen, ihn zu besteigen und mit einem siegessicheren Bauchplatscher in den See zu tauchen.
Es ist still.
Die Eichen scheinen sich ein wenig zu neigen.
Nach einer Ewigkeit entsteigt der neue Gott den Fluten, Wotan liegt ganz eingeschüchtert auf der flauschigen Decke und wirkt klein und verloren. So klein und verloren wie wohl die meisten anwesenden Männer sich jetzt fühlen.
Der Gott stapft zurück zu seiner Freundin, der auch nicht ganz geheuer, sich nicht aus ihrer knappen Kleidung zu steigen traute. Vielleicht wollte sie, sollte der Kampf zu seinen Ungunsten sich entwickelt haben ,fluchtbereit bleiben.
Nun teilt der Gott eine riesige Melone, die unsere Melone noch kleiner erscheinen läßt, seine Freundin öffnet eine Chipstüte von der Größe eines Kartoffelsackes und aus Gottes Mund ertönt ein mächtiger Schwall dröhnender russischer Wörter!
Nun neigen die Eichen sich wirklich, Wotan an die Seite seines Herrchens gekuschelt verläßt die letzte Luft und mit einem leisen Hundefurz wird er zu nicht mehr, als einem undichten Gummiewotan, schlapp und still liegt er da . Wie gerade noch die gesamte Bucht sich zu einem Auge vereint, bilden nun all unsere Münder einen großen Mund . Wieder vereint Wotanianer und Minimelonianer aus einem Munde wollen sie empört rufen ” Was, Du sprichst noch nicht mal deutsch und traust Dich Das, Du Gott, der uns Unbekannte!” , doch der Mund kann nicht rufen.
Stille über der Bucht, nur das knacken der Chips ,unterbrochen vom schlürfenden Schmatzen der Melone im Munde des neuen Götterpaares, und einem leisen ehrfürchtigen Flüstern der Eichen, ob des mächtigen Gemächts, dass sich über ihre Wurzeln wölbt.
Katharsis
Wir räumen die Bucht und überlassen sie einer neuen Generation von Menschen.
Wotan wird liebevoll zusammengelegt und zum Kleinwagen getragen.
Ich denke noch kurz an den Abend dieses heißen Tages und bin froh über die hohen Temperaturen die jede häusliche Gewalt im Kern ersticken werden, nichts zu befürchten für meine neue Freundin auf der Flauschdecke.